Verfall der Sitten
Oder gibt es da schon – lange – nichts mehr, was verfallen könnte?
Beginnen wir in einer dunklen Zeit unserer Republik.
Mein Vater, Jahrgang 1924, wurde am 10.02.1943 in Danzig verhaftet. Nach einem kurzen Aufenthalt im Lager Stutthof wurde er ein Gefängnis in Danzig verlegt und abwechselnd von SS und Kripo verhört.
Die Erinnerung meines Vaters an die Zeit war etwas verschwommen, was er aber in Erinnerung hatte war eine Auflistung der Paragrafen des Heimtückegesetzes und den Namen des Unterzeichners auf der Anklageschrift: Wolff.
Und das seine Mitgefangenen ihm erzählten, dass es sich damit um eine Sondergerichtsverhandlung handeln würde, die mit Todesstrafe entschieden wird.
Bei diesem Wolff handelte es sich um Paul Wolff, in der weiteren NS-Zeit Landgerichtsrat beim Sondergericht Oppeln (Opole).
Die Sondergerichte zur NS-Zeit hatten einen besonders hohen Anteil an den NS-Justizverbrechen.
Was ganz genau sein Vergehen war, ist ihm nie wirklich klargeworden. Eine Suche nach Antworten blieb ergebnislos, da große Mengen von Akten vernichtet wurden. Auch ein befreundeter Professor aus der Danzig, der Zugang zu vielen Dokumenten hatte, konnte ihm nicht weiterhelfen.
Was er bei seinen späteren Recherchen herausfand, genau dieser Nazi-Scherge war später Amtsgerichtsrat in Paderborn.
Das ist leider kein Einzelfall gewesen. Bei entsprechender Recherche im Internet findet man hunderte, wenn nicht tausende von linientreuen Nazis und SS Angehörigen, die nach 1945 weiter Recht sprechen durften.
Wird damit nicht die Umschreibung "Recht sprechen" pervertiert?
Bei der erfolgten Entnazifizierung wurde sich munter einen gegenseitiges "Kein-Nazi-gewesen-sein" bescheinigt. Zudem spielten natürlich wieder einmal wirtschaftliche Aspekte eine Rolle und weitere Faktoren, die hier den Rahmen sprengen würden. Da haben die Besatzungsmächte und hat die junge Bundesrepublik völlig versagt.
Trotz des fantastischen Filmes "Rosen für den Staatsanwalt" aus dem Jahre 1959, der sich satirisch mit der Problematik beschäftigt, 1960 mit dem Bundesfilmpreis in Silber ausgezeichnet wurde und genau diese Problematik aufzeigt, wurden jedoch niemals weitergehende Maßnahmen ergriffen, um den braunen Sumpf in der Justiz völlig zu eliminieren.
In den folgenden Jahrzehnten flackerten immer mal wieder Enthüllungen auf, die für Empörung sorgten, aber das war es dann auch.
Das hat der Lauf der Zeit nun erledigt, von den "ehrenwerten" Herren spricht mittlerweile keiner mehr Recht.
Aber wer hat die nachfolgenden Juristen ausgebildet und geprägt oder gar bei der Gesetzgebung der neuen Republik mitbestimmt?
Ein Paradebeispiel beantwortet diese Frage: Link1
Dr. Herrmann Weitnauer, am 18.07.1910 in München geboren.
Eintritt in die NSDAP am 01.05.1933, von 1933 - 1936 Mitglied der SA und 05.06.1934 Promotion zum Dr. jur.
Über weitere Stationen dann am 07.09.1938 Ernennung zum Amtsgerichtsrat, ab August 1941 im Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete (RMfdbO).
Nach Rückkehr aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft April 1950 und Einstellung des Entnazifizierungsverfahrens auf der Grundlage des Abschlussgesetzes, war er bereits im Juli 1950 im Bundesjustizministerium tätig.
Während dieser Tätigkeit die Ernennung zum Ministerialrat am 12.06.1953.
Im Februar 1965 wurde er zur Wahl als Bundesrichter am BGH vorgeschlagen. Dieser Vorschlag wurde jedoch durch das Bekanntwerden seiner Tätigkeit im RMfdbO zurückgezogen.
Da im August 1965 auch seine Tätigkeit im Bundesjustizministerium endete, hatte die Bundesregierung zumindest scheinbar so viel Anstand ihn, mit Blick auf seine Vergangenheit, dort zu entfernen.
Konsequent? Weit gefehlt.
Nicht mehr so präsent, wie im Ministerium, aber weiterhin im Staatsdienst tätig, war Weitnauer von 1965 - 1978 ordentlicher Professor an der Universität Heidelberg.
Auch aus dem Landkreis Cuxhaven ist zumindest ein ehemaliger SS-Hauptsturmführer zu finden, zwar nicht in der Justiz, der jedoch später als Regierungsdirektor in Niedersachsen tätig war.
Im Hinblick auf die veränderten Gegebenheiten, die nach Georg Büchners Tod (1813-1837) in der Welt herrschen, würde ich seine sinngemäße Aussage, dass die Justiz die Hure der Fürsten sei, in ein zeitgemäßes Zitat, wie folgt abändern:
"Die Justiz ist die Hure der Politik"